Freitag, 22. Mai 2009

Neulich an der Autobahntanke



Marketing am Limit – Produkte nach Wegfall der Verpackungsordnung


Schneller als gedacht und kreativer als vermutet greift die Nahrungsmittelindustrie die Möglichkeiten nach Wegfall der Verpackungsordnung auf. Der Tankstellenpächter macht sich an der Kasse Luft und uns auf die neuen Errungenschaften aus dem Schokoriegelregal aufmerksam. Objekt des Ärgernisses ist ein 2er-Riegel Balisto – der Klassiker in orange. Wir haben drei Packungen gegriffen. Eine davon ist noch aus der alten Lieferung sagt uns der Pächter. Nur wo ist der Unterschied? Allein genaues Hinschauen hilft weiter. Die alte Packung hat 41 g Inhalt. Die neue nur noch 37 g. Na was machen schon 4 Gramm? Nun, das sind 10% versteckte Preiserhöhung. Der Einkaufspreis hat sich für den Pächter der Autobahnraststätte nicht geändert. Für uns somit der VK auch nicht.


Eigentlich ist der Balistoriegel nicht das typische Beispiel für die neuesten Symptome der neuen EU-Regelung. Künftig können die Hersteller – außer bei einigen Weinsorten und Spirituosen – frei wählen, in welchen Packungsgrößen sie die entsprechenden Produkte herstellen und anbieten. Am 11. April 2009 trat eine Änderung der Fertigpackungsverordnung in Kraft. Diese legte bisher für diverse Grundnahrungsmittel fest, in welchen Packungsgrößen diese verkauft werden dürfen. So konnte beispielsweise Schokolade, sofern die Packung mehr als 85 Gramm wiegt, nur in Mengen zu 100, 125, 150, 200, 250, 300 oder 400 Gramm verkauft werden. Auch für Mineralwasser, Zucker, Kakao, Limonaden, Fruchtsäfte, Bier, Wein, Spirituosen oder Milch gab es bisher entsprechende Verordnungen. Und diese fallen nun im Rahmen einer Liberalisierung in der gesamten Europäischen Union weitgehend weg.

Die Lebensmittelhersteller müssen sich nicht mehr an die bisher geltenden Verpackungsstandards für Grundnahrungsmittel halten. Diese Richtlinie wird in Deutschland in der sogenannten Verpackungsverordnung umgesetzt.

Nach Meinung der Industrie sind flexible Mengen ein unverzichtbares Marketinginstrument. Die Hersteller müssten sich mit kreativen Verpackungen auf einem umkämpften Markt von der Konkurrenz absetzen. Dies sei ein Stück mehr Freiheit für die Verbraucher? Auch bei unserem Balisto? Verlangt der Kunde nun 4 Gramm weniger, weil er die zwei Riegelchen sonst nicht ganz packt?

Hier geht es nicht um Produktmarketing sondern viel mehr um Preismarketing. Die Anbieter wollen besonders niedrige Schwellenpreisen beibehalten. Um das zu erreichen, müssen die Mengen kleiner werden. Weniger drin, gleicher Preis – diese Masche war bisher schon an der Tagesordnung bei Produkten wie Marmelade, Putzmitteln oder Kosmetik, für die vorher schon keine Vorgaben mehr bestanden.

Und nun kommen die Standardgrößen für Milch, Mehl, Kaffee, Zucke usw. in Wanken. Die 95-Gramm-Tafel ist nun erlaubt. Oder die 850 ml Milchpackung. "Der Handel will anbieten, was die Kunden wünschen und nicht das, was sich Bürokraten irgendwann mal ausgedacht haben", so Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels. "Es besteht Bedarf an kleineren Einheiten." Wie bei unserem Balisto?

"Verpackungen, die die Verbraucher irreführen, sind weiter verboten" argumentierte eine Sprecherin des Bundesverbraucherministeriums.
„Institut für Konsum- und Verhaltensforschung“ heißt der Lehrstuhl für Marketing an der Universität des Saarlandes. Genau darum geht es, um Verhalten, das üblicherweise sehr gewohnheitsmäßig insbesondere bei Grundnahrungsmitteln abläuft. Oder eben spontan wie bei unserem Balisto. Und mit diesem Verhalten wird gespielt, wenn die bei Verbrauchern gespeicherten Verpackungsgrößen äußerlich kaum verändert, aber die Füllmengen verringert werden.
Mit der Freigabe der Füllmengen können die Hersteller nun ihrer Fantasie freien Lauf lassen. 37 Gramm oder doch lieber 41 Gramm?

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